wpe2.gif (238722 Byte)                                                   


Ioanna Karystiani wurde 1952 in Chania, Kreta, geboren und machte sich nach dem Jura-Studium zunächst als Cartoonistin und Drehbuchautorin einen Namen. Erst in den neunziger Jahren entschloss sie sich, Prosatexte zu veröffentlichen. Den Anfang machte 1995 ein Erzählband „I kyria Kataki“ (Ü: Frau Kataki), bald darauf folgte ihr erster Roman „Mikra Anglia“, auf deutsch 2001 unter dem Titel „Die Frauen von Andros“ erschienen sowie zuletzt „Koustoumi sto choma“ (dt. „Schattenhochzeit“, 2003). Neben ihrer literarischen Arbeit beschäftigt sich Karystiani weiterhin intensiv mit dem Film, so arbeitete sie beispielsweise im Sommer 2002 mit Martin Scorcese an der Realisierung ihres Drehbuchs „The Brides“ in Athen und auf Kreta. Ioanna Karystianis Werk wurde vielfach ausgezeichnet - so erhielt sie den griechischen Staatspreis für Literatur für ihren ersten und den Preis der Athener Akademie sowie den Diavaso-Literaturpreis für ihren zweiten Roman. Sie ist mit dem renommierten Filmregisseur Pantelis Voulgaris verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Athen und auf Andros.

Karystiani nimmt sich der kleinen, nur scheinbar nebensächlichen Details im Leben ihrer Figuren an. So waren die Erinnerungsfotos der ertrunkenen Seemänner in den Kafenions und Privathäusern auf Andros der Auslöser, nach den Geschichten hinter den Bildern zu forschen und die Welt der Frauen zu schildern, in deren Leben die Männer die größte Präsenz erst entwickeln, wenn sie zu Tode kommen. Treffend formulierte die NZZ über „Die Frauen von Andros“, eine Familiengeschichte, die zwischen der Enge der Inselheimat und der Weite der Ozeane hin- und herwechselt: „Karystiani vermeidet alle Untiefen, die ihren Stoff zur Kolportage machen könnten, vor allem die der einseitigen Identifikation mit einer Figur. Fortwährend nimmt sie wechselnde Perspektiven ein und erschafft damit ein Panorama andriotischen Lebens, das umso natürlicher wirkt, als die Autorin von vielen Protagonisten erzählt, ohne auch nur von einem einzigen erschöpfend zu berichten.“

Ähnlich ergeht es den kretischen Frauen in den schwarzen Hemden der Familienmitglieder, die auf einen Fehdetoten verweisen. In „Schattenhochzeit“ beschreibt Karystiani die Geschichte von Kyriakos Roussias, einem hochdekorierten Wissenschaftler und seit fast dreißig Jahren seiner kretischen Heimat ferngeblieben, der plötzlich seinem gleichnamigen Cousin und alter ego gegenübersteht, dem Mörder seines Vaters.

Die Fragen der Dialektik der zivilisatorischen Prozesses, die für das Werk der Autorin zentral sind, formuliert sie selbst folgendermaßen: "Wie hält man das Vergessen aus? Wie erhebt sich eine Hand zum Töten? Warum weichen wir der Begegnung mit unserem tatsächlichen Ich aus? Warum ist Versöhnung schwieriger als Feindschaft?"

Michaela Prinzinger

® internationales literaturfestival berlin

 

„Karystiani gelingt es kunstvoll, Bezüge fast heimlich zu knüpfen, Motive kaum hörbar anzuschlagen. Sie gibt behutsam jeder Figur ihr Recht und lässt sie zum fragmentarischen Erzähler des eigenen Lebens werden. Wer Karystianis Andros-Roman gelesen hat, könnte von nun an als ein anderer Tourist nach Griechenland kommen.“ (Neue Zürcher Zeitung)

 

Auf Deutsch liegen vor: Die Frauen von Andros. Suhrkamp Verlag, 2001

Schattenhochzeit, Suhrkamp Verlag, 2003

 

Rezensionen/Links: FAZ 02.06.2001