Als konsequente Fortsetzung einer Serie, die sich mit zeitgenössischer Fotografie verschiedener Länder auseinandersetzt, zeigt der Neue Berliner Kunstverein vom 17. Januar bis 29. Februar 2004 eine Ausstellung zeitgenössischer Fotokunst aus Griechenland. Über die griechische Fotografie wissen wir in Deutschland wenig. Aus ihrer Geschichte im 20. Jahrhundert ist bei uns lediglich die in den zwanziger Jahren wirkende Fotografin Nelly weithin bekannt. Die Gründe dafür sind vielschichtig und liegen in erster Linie in der geschichtlichen und gesellschaftlichen Situation Griechenlands im vergangenen Jahrhundert. Erst in den siebziger Jahren, nach Wiederherstellung der Demokratie, trat die Generation der sog. Neuen Griechischen Fotografie in Erscheinung, meist Fotografen, die vorher jahrelang im Ausland gelebt haben. In den achtziger Jahren entwickelte sich zudem die notwendige institutionelle Infrastruktur mit entsprechenden Einrichtungen, wie dem “International Month of Photography“ in Athen oder dem Fotofestival „Photosynkyria“ in Thessaloniki. Aus diesem Gründergeist heraus entstand 1997 auch das Thessaloniki Museum of Photography, das seine Tätigkeit ausschließlich der Präsentation und dem Sammeln zeitgenössischer Fotokunst widmet und sich somit als idealer Partner für unsere Zusammenarbeit erwies.

 Die Ausstellung kann verständlicherweise keinen repräsentativen Überblick aller Richtungen der griechischen Fotografie der Gegenwart bieten und muss sich daher auf eine spezifische Auswahl beschränken. Sie soll am Beispiel von zwölf Künstlern zeigen, wie sich die heutige Fotokunst in Griechenland mit den beiden Themen „Raum“, ein Erbe der Tradition der Landschaftsfotografie, und „Selbst“, eine neu hinzu gewonnene Beschäftigung mit dem Persönlichen und Intimen, auseinandersetzt. Zum ersten Themenkreis gehören die Arbeiten von Nikos Markou mit seiner Erkundung der zivilisatorischen Ruinen der Gegenwart, Epaminondas Schizas mit seinen auf pittoreske Strandszenen ironisch anspielenden und durch Konsummüll verunreinigten Meeresansichten, Nikos Panayotopoulos mit seiner in sich zerrissenen und  in ihrer Realität widersprüchlichen Stadtlandschaften, Manolis Baboussis mit seinen sachlichen.

Aufnahmen von Bankautomaten und Tresorräumen als Sinnbilder für entmenschlichte Kommunikation, Panos Kokkinias mit seinen inszenierten und ein Gefühl der Einsamkeit vermittelnden Innenräumen, sowie die mit Computer generierten Bilder von Yiannis Konstantinou, die realistische Topografien von einer nicht existierenden Wirklichkeit konstruieren. Zum zweiten Themenkomplex zählen die Fotografien von Lia Nalbantidou mit ihren autobiografischen, das Vertraute untersuchenden Bildern, Panos Vardopoulos mit seinen skurrilen, mit veränderten Maßstäben operierenden Alltagssituationen, Nikoletta Zissi mit ihren sozialkritischen Selbstdarstellungen in verschiedenen Rollenmodellen, Vassilis Polychronakis mit seiner wirkungsvoll inszenierten Bildfolge von Gewaltopfern, Christina Calbari mit ihren performativ situierten Kompositionen des fragmentarischen Selbst, schließlich Melinna Kaminari mit ihren Erinnerungsfotos von Freunden, in denen die einzelnen Schichten des Gedächtnisses ein einheitliches Bild der Personen verwehren und so auf die stete Unvollständigkeit unserer Erinnerungen verweisen.

Wenn man diese Auswahl, die notwendigerweise subjektiv und lückenhaft bleiben muss, näher betrachtet, erkennt man einen roten Faden im Ausstellungskonzept, der nach den Worten des griechischen Kurators, Hercules Papaioannou, „von der natürlichen Landschaft zur Stadtlandschaft führt, vom öffentlichen Bezirk in den privaten, vom Außenraum in den Innenraum, von der greifbaren Materie in den immateriellen Bereich des Seelischen und Geistigen, von der realen Welt der Erscheinungen in die Welt der Phantasie.“

Die Ausstellung, die anschließend auch in der Galerie der Stadt Sindelfingen, in der Stadtgalerie Kiel und im Halleschen Kunstverein gezeigt wird, erhielt eine großzügige finanzielle Förderung durch die Griechische Kulturstiftung Berlin, die staatliche Kulturvertretung des Landes für den deutschsprachigen Raum.

Der Katalog, der im Verlag Braus erscheint und während der Ausstellung 19,- Euro kostet, ist Teil unseres Konzepts, die Fotokunst der Gegenwart mit einer fortgeführten Serie von Publikationen vorzustellen. Die Textbeiträge stammen von  Kostias Antoniadis,  Direktor des Thessaloniki Museum für Fotografie, und von Hercules Papaioannou, Kurator ebendort.